Gedanken zur Bedarfserkennung für grundhafte Erneuerungen von innerstädtischen Straßen
Nach den Richtlinien der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ist es zulässig, innerstädtische Straßen aufgrund von visuellen Zustandserfassungen (wie z. B. allgemeines Schadensbild, Zustand der Bordsteine und der Gosse, Risse, Oberflächenschäden, allgemeine Unebenheiten, Spurrinnen, Flickstellen, Tragfähigkeitsprobleme) und abschließender zusammenfassender Bewertung als grunderneuerungsbedürftig einzustufen. Auch die Ermittlung von Tragfähigkeitsproblemen darf danach visuell, d. h. ohne physikalische Messverfahren (!), erfolgen. Umfangreiche Ausführungen dazu sind in der „Stellungnahme des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport zur Landtagseingabe Nr. 02187/11/17, Anliegergruppe Wennigser, Ronnenberger, Springer, Gehrdener, Barsinghäuser Straße, 30459 Hannover, betr.: Änderung des Nds. Kommunalabgabengesetzes (NKAG); hier: Straßenausbaubeiträge“, Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Niedersächsischen Landtags vom 14.04.2016 an die vorstehende Anliegergruppe, nachzulesen.
„Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ist ein gemeinnütziger technischwissenschaftlicher Verein. Sie wurde 1924 gegründet. Das Hauptziel der FGSV ist die Weiterentwicklung der technischen Erkenntnisse im gesamten Straßen- und Verkehrswesen. Dabei wirken Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Sie entsenden insgesamt über 2.500 Mitarbeiter in die zahlreichen Fachgremien.“ Das Zitat stammt von: https://www.fgsv.de/forschungsgesellschaft.html. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung darf bei dieser Zusammensetzung befürchtet werden, dass in die erarbeiteten Richtlinien nicht nur technisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch Gruppeninteressen der Verwaltungen und der Wirtschaft einfließen. Wenn Verwaltung und Wirtschaft in der FGSV mitwirken, würde man sich aus Gründen der Ausgewogenheit auch eine Beteiligung z. B. des Steuerzahlerbundes und der Grundeigentümerverbände wünschen.
Visuelle Beurteilungsverfahren sind nach Einschätzung des Unterzeichners sicherlich hinreichend, um ein für Grunderneuerungen zur Verfügung gestelltes Budget sinnvoll und zügig zu verausgaben. Die Entscheidung, ob eine bestimmte Straßen zwingend grundzuerneuern ist, kann mit visuellen Verfahren nicht getroffen werden. Eine zwingende technische Grunderneuerungsbedürftigkeit liegt nach Auffassung des Unterzeichners nur dann vor, wenn der Untergrund einer Straße so geschädigt ist, dass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet ist und Oberflächenerneuerungen folglich nicht nachhaltig sein würden. Das lässt sich nur mit physikalisch-technischen Messungen und Standsicherheitsberechnungen, nicht jedoch mit heuristischen Verfahren, wie visuellen Verfahren ermitteln.
Im Regelfall wird in niedersächsischen Städten und Gemeinden die Grunderneuerungsbedürftigkeit von Straßen mit visuellen Verfahren festgestellt. In Kommunen, in denen noch Straßenausbaubeiträge erhoben werden, widerspricht es nach Auffassung des Unterzeichners den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verwaltung, wenn aufgrund von visuellen Einschätzungen Straßen für grunderneuerungsbedürftig eingestuft werden und anliegende Grundeigentümer/Innen dann mit hohen Anteilen (bis zu 75%) und teilweise Existenz ruinierenden Beitragshöhen herangezogen werden. So schwerwiegende Eingriffe in die Finanzen der Grundeigentümer/Innen dürfen nach Auffassung des Unterzeichners nicht auf Grundlage von heuristischen Verfahren erfolgen. Existenz ruinierende Beiträge widersprechen zudem auch dem Verfassungsgrundsatz des Übermaßverbots.
Auch in den Städten und Gemeinden, in denen keine Straßenausbaubeiträge (mehr) erhoben werden, sollten nach Auffassung des Unterzeichners keine visuellen Verfahren zur Feststellung der Grunderneuerungsbedürftigkeit mehr zur Anwendung kommen. Es gibt immer konkurrierende Finanzbedarfe, wie z. B. Erneuerung von Schulgebäuden und -toiletten, Wärmedämmung von öffentlichen Gebäuden, usw., usw. Die Anwendung von heuristischen anstelle von technisch-wissenschaftlichen Verfahren zur Bedarfsermittlung für die Grunderneuerung von innerstädtischen Straßen kann zur Fehlleitung von Ressourcen führen, ist nicht mehr zeitgemäß und sollte zügig korrigiert werden.
Hannover, 15.01.2020
Dr. Wolf Dietrich Sachweh
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