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Kommentare

Straßenausbaubeiträge – GRÜNE wollen Handlungsspielräume für Kommunen erweitern — Ein Kommentar

  1. An den
    Landesvorstand der GRÜNEN
    Anne Kura
    Hans-Joachim Janßen

     

    jeweils per Mail: anne.kura@gruene-niedersachsen.de;
    hanso.janssen@gruene-niedersachsen.de

     

    Straßenausbaubeiträge

     

    Liebe Anne, lieber Hans-Joachim,

     

    unter der Überschrift, Grüne wollen Handlungsspielräume für Kommunen erweitern, habt Ihr Euch im Landesvorstand und damit vermutlich auch in der Fraktion zum Umgang mit dem landesweit kontrovers diskutierten Thema der Straßenausbaubeiträge positioniert.

    Bei allen Euren Ausführungen dazu, sehe ich aber nicht, dass Ihr den sozialpolitischen Aspekt dieser Thematik würdigt, bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller finanziellen Gesichtspunkte. Ich möchte Euch daran erinnern, dass seit unserer Gründung die Frage nach dem Verhältnis von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit fundamentales Thema war und anscheinend noch immer ist, denn zum Gesichtspunkt „Sozio“ findet ich keinerlei Aussagen.

    Heruntergebrochen auf die kommunale Ebene lautet daher aus meiner Sicht die Frage ebenfalls, wie können wir das Soziale auf dieser Ebene als GRÜNE verdeutlichen und festigen. Wenn dann unter Beachtung dieser Vorgaben eine Aussage zum Thema Straßenausbaubeitrag erfolgt, dann gibt es m.E. Gesichtspunkte, die möglicherweise von Euch nicht mitbedacht worden sind.

    Ich möchte sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln wie folgt darlegen:

     

    1. Ebene – der kommunale Rahmen

    Die Gemeindestraßen in Nds. werden fast zu 90 % im Rahmen der Erschließungskosten von den anliegenden Grundstückseigentümern getragen. Mit der Widmung dieser Erschließungsstraßen geht das Eigentum daran in das Gemeindevermögen über. Die Kommunen haben dieses Gemeindevermögen nach dem Kommunalverfassungsrecht pfleglich und wirtschaftlich zu unterhalten. Diese Position wird auch aus dem Nds. Straßengesetz gestützt, weil die Kommune mit der Widmung auch Straßenbaulastträger wird. Hinzu kommen Überlegungen aus unserem Grundgesetz, wonach Eigentum verpflichtet und Eigentümer der Gemeindestraßen sind die Kommunen und nicht die Grundstückseigntümer. Daraus ergibt sich dann auch die Betrachtung nach dem Gemeingebrauch der Straßen und nicht die individualisierte Einzelbetrachtung auf den Grundstückseigentümer.

    Mit der wirtschaftlichen Unterhaltung aus der Kommunalverfassung wird u.a. die Abschreibung angesprochen, die haushaltsrechtlich den Einsatz von Steuern und sonstige Einnahmen einfordert und dann in der Folge davon, in die allgemeine Rücklage fließt. Hier werden mithin erneut auch die Grundstückseigentümer über Steuern etc. belastet. Die in diesem Zusammenhang ergänzend fällig Grundsteuer ließe sich oberhalb der Kappungsgrenze, begründet auf einen entsprechenden Ratsbeschluss, zweckgebunden in eine Rücklage für den Straßenbau transferieren. Damit könnten Erneuerungsaufwände für Straßen angespart und eine immer wieder geforderte sparsame und zielorientierte Haushaltsführung umgesetzt werden. Diese Gestaltungsmöglichkeit wird aber offenkundig übersehen.

    Pfleglicher und wirtschaftlicher Umgang mit dem Straßenvermögen erfolgt dann, wenn die Kommune hierfür ein entsprechendes Kataster auflegt, das neben den Herstellung-/ Anschaffungswert der Straße, den Zustandswert der Straße, einen Zielwert für den angestrebten Straßenzustand, einen Warnwert für Instandsetzungsmaßnahmen und einen Schwellenwert für investive Erneuerungen ausweist.
    An dieser Stelle versagen die Kommunen nach meinen Erkenntnissen massiv und soweit Ihr in der Kommunalpolitik verankert seid, müsstet Ihr dieses Versäumnis auch einräumen. Auch eine überörtliche Prüfung des LRH bestätigt diesen meinen Eindruck. Entsprechende Ausführungen findet Ihr dazu im Internet unter Landesrechnungshof.
    Nach Euren Blickwinkel geht die Nachlässigkeit bei der Umsetzung von Kommunal- und Straßenrecht letztendlich zu Lasten der Grundstückseigentümer, deren Straßen nicht „unterhalten“ werden, sondern schlichtweg erneuert werden müssen. Das ist nicht die „Grünenpolitik“, die ich kenne und schätze.

     

    2. Ebene – finanzielle Grundlagen

    Im Jahre 1960 wurde die Erhebung der Mineralöl- und Auto-/Motorrad-Steuer eingeführt und gleichzeitig in Artikel 1 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes festgelegt, dass 50 % der jährlichen Einnahmen in die Infrastruktur fließen sollten. Die Praxis dazu ist bekannt. Heute werden aus der Energiesteuer jährlich rund 57 Milliarden € eingenommen. Nach meiner Recherche werden aus diesen Topf an das Land Niedersachsen jährlich rund 890 Mio., € überwiesen, ohne Zweckbindung. Sie gehen also wie im Bund im allgemeinen Haushalt unter, wobei ich mir als „Grüner“ die Frage stelle, warum existiert diese Praxis überhaupt, denn es verwischt Zielrichtungen von Einnahmen und nachvollziehbare Aussage zu evtl. Finanzierungen.

    Für die Nutzung der Straßen werden Konzessionszulagen von verschiedenen Institutionen gezahlt, die, wie bekannt ist, nicht an die Anlieger ausgezahlt werden, sondern im Haushalt der Kommune verschwinden und für Unterhaltungsarbeiten bereitstehen oder angespart werden sollten. Warum wird diese Vorgehensweise hingenommen?

    Die Bundesländer, die sich ebenfalls in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Argumenten gegen die Übernahme der kommunalen Erschließungskosten für den Straßenbau gewehrt haben, haben mit ebenso vielfältigen Argumenten inzwischen bekundet/entschieden, dass der Straßenerschließungsaufwand eine Daseinsvorsorge des Staates und damit des Landes sei und haben die Erschließungsbeiträge auf der kommunalen Ebene abgeschafft und teilweise bereit geleistet Beitragszahlungen erstattet. Die jeweils ins Gespräch gebrachten Zahlen auf Länderebene gehen von 60 – 120 Mio. € jährlich aus.

    Ziemlich kühn wird von Euch die These vertreten, die im Übrigen so auch von den anderen Parteien so oder so ähnlich formuliert wird, die Mittel (des Landes) fehlen dann für wichtige Investitionen des Landes an anderer Stelle.
    Die mit bekannten Zahlen sagen dazu etwas völlig anderes aus. So betrug das Steueraufkommen im Jahre 2017 in Niedersachsen 26,4 Mrd. € (Quelle: Nieders. Finanzministerium). Die Einnahmen der niedersächsischen Kommunen durch Straßenausbaubeiträge schlugen 2017 mit 19,6 Mill. € zu Buche (Quelle: Anfrage des Abg. Oetjen, FDP, v. 21.6.2018, Antwort des Nieders. Ministerium für Inneres und Sport vom 17.8.2018) d.h. diese Einnahmen machten 0,096 % der Gesamteinnahmen aus Steuern in 2017 aus. [Anmerkung: In Niedersachsen betrug 2017 das Grundsteueraufkommen (Grundsteuer B, sprich Grundsteuer für bebaute Grundstücke) 1,344 Mrd. €, Quelle: Landesamt für Statistik Niedersachsen, 2018]
    Damit ist m.E. die Grundaussage von Euch, das Land könnte die Lasten nur durch Verzicht auf sonstige notwendige Investitionen tragen, falsch. Und an dieser Stelle verstehe ich ganz grundsätzlich auch nicht Euren Ansatz. Wir haben Euch doch gewählt, damit Ihr nicht wie die „Volksparteien“ Politik ausschließlich für Wirtschaft und Kapital macht, Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert und Kinder-, Altersarmut und Wohnungsnot verursacht.

     

    3. Ebene – soziale Ebene

    Soweit ich unser Grundsatzprogramm in Erinnerung habe, wollen wir alle Menschen wirksam vor Armut schützen und für guten und günstigen Wohnraum sorgen, um nur einige zu nennen.
    Ich gehe davon aus, dass bei Eurer Entscheidung zu diesem Thema bedacht wurde, dass neben den Grundstückseigentümer, die Mieter und die Bewohner von Pflegeheimen von höheren Kosten betroffen sind. Die Mieter über den Umweg der „Wohnumfeldverbesserung“ und Pflegeheimbewohner über den Investitionsanteil im Pflegesatz.

    Für jungen Familien stellen sich Fragen der erneuten Finanzierung von Grundstückskosten, die über den bereits vereinbarten Finanzierungsrahmen hinausgehen. Schon unvorhergesehene Unterhaltungskosten führen häufig zu finanziellen Problemen. Nunmehr neue Kostenbelastungen in 3 bis 4-stelliger Größenordnung in die bestehende Finanzplanung unterzubringen, sind da mehr als belastend.
    Als Folgen daraus können hier verschiedene Szenarien angedacht werden und ich berichte hier aus meinen eigenen Erfahrungen im sozialen Bereich. Scheidung, Armut, Obdachlosigkeit, Alkoholsucht oder auch nicht, aber v.m.
    Seht Euch dazu doch einmal in der Obdachlosenszene um und Ihr werden von den gebrochenen Lebensläufen hören, die simpel anfangen und dann nicht mehr beherrschbar sind. Als GRÜNE sollten wir hier mehr als sensibel sein.

    Für ältere Menschen, die sich bereits in der Rente befinden, geht aber mit der erneuten Belastung durch Straßenausbaubeiträgen eine Lebensplanung über Bord. Die Planung dieser Menschen sah häufig vor, durch die ausfallenden Mietkosten beim Eigenheim die niedrige Rente für ein einfaches Leben abgefangen. Ein Rücklagenpolster ist häufig nicht vorhanden, die Kreditfähigkeit ist nicht mehr gegeben. Die Rente/n liegen nach meiner Kenntnis der Örtlichkeiten im hiesigen Bereich an der Grenze zur Altersarmut. Es folgt häufig der Verkauf des Grundstücks. Die damit verbundene Auflösung von sozialen Kontakten führen zu einer Vereinsamung bis hin zum Suizid. Das alles können wir als GRÜNE nicht wollen.

    Aus diesem Ansatz heraus gibt es m.E. nur einen Weg. Heraus aus der kommunalen Verantwortung und hin zur staatlichen Wahrnehmung dieser Aufgabe.
    Eure Hinweise auf einmalige oder wiederkehrende Beiträge sind kein Lösungsansatz für dieses Thema. Es kann nicht richtig sein, dass je nach Kassenlage, die eine Gemeinde auf die Erhebung von Beiträgen verzichtet und die andere Gemeinde darauf besteht, Beiträge zu erheben.

     

    4. Ebene – Anregung zum Vorteilbegriff

    Besondere wirtschaftliche Vorteile gibt es für Anlieger von privat genutzten Grundstücken m.E. nicht. Die Kommunen und die Verwaltungsgerichte können nicht den Anliegern einen über die Straßennutzung durch die Allgemeinheit (Gemeingebrauch) hinausgehenden wirtschaftlichen Vorteil nachweisen und einen besonderen Vorteil schon gar nicht. Sie konstruieren deshalb, im Interesse der Kommunen und zum Nachteil der sich wehrenden Bürger, zur Abweisung der Klagen einen real gar nicht vorhandenen Vorteil.

    Die ungerechte Vorgehensweise der Verwaltungsgerichte wird durch namhafte Verwaltungsrechtswissenschaftler, sogar durch Prof. Driehaus, den Papst des Beitragsrechts, tatkräftig unterstützt.

    In einem Protokollauszug eines Vortrages von Prof. Driehaus vor dem Ausschuss für Bauen und Wohnen, Berlin, vom 17.09.2008, ist zu lesen: “Das einzige Kriterium das wir kennen, das einen solchen Rückschluss erlaubt, ist die Größe des Grundstücks sowie die Art und Maß seiner Ausnutzbarkeit.”

    In Kenntnis dieser Festlegung ist es nicht möglichen einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil u kreieren und danach den Umfang der Straßenausbaubeiträge zu ermitteln?

    Wir GRÜNE sollten uns daher von dem Vorteilsbegriff, der mit normalem Menschenverstand kaum nachvollziehbar ist, distanzieren.

     

    Abschließend möchte ich empfehlen, sich inhaltlich auf die Entlastung der Bürger*innen zu konzentrieren, gemäß dem Ansatz Armutsvermeidung, Mietkostenerhöhung vermeiden und Pflegekosten stabil halten.

     

    Strategische empfehle ich, sich den Bürgerinitiativen anzuschließen, die im Land an vielen Stellen bereits vorhanden sind oder entstehen. Die Unterstützung von Bürgerinitiativen ist ureigene Grundidee von uns GRÜNEN gewesen. Bürgerschaftliches Engagement haben wir immer unterstützt, vor allem im ökologischen Bereich. Warum jetzt eine andere Haltung im sozialen Bereich?

     

    Mit freundlichen Gruß

    Ingo Lange

     

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